Der Schallplattensammler
Die Geschichte eines schizophrenen Zeitreisenden der Musikgeschichte und krankhaften Sammlers.
Es begann im Jahr 1970 während eines allsonntäglichen Blaskapellen-Frühschoppens.
Ich, damals ein 6jähriger Zögling befragte meinen Großvater behutsam, nach dem eben aufgefassten Stichwort „Woodstock“, was das wohl sei. Ich bekam sofort forsch zu Antwort, dass es sich dabei um einen Ort irgendwo überm großen Teich handle, an dem ein paar Drogensüchtige, Langhaarige, mit Blumen in den Haaren, und lauter Musik, verzweifelt versuchen die Welt zu verbessern.
Dies sei aber doch nur mit einem geregelten Einkommen und ordentlichen Familienverhältnissen möglich. “…Aha…“.
Zwei Jahre später entsprang mein Geburtstagsgeschenk, die Single „Popcorn“ von Hot Butter, einem schmuddeligen Plattengeschäft (Inhaberin Fr. Beisiegel). Die Scheibe sowie das Geschäft sollte in weiterem Verlauf meiner Jugend eine wichtige Rolle spielen.
Erstens, als Einstiegsdroge, zweitens: Taschengeldfriedhof!
Von nun an ging es dahin. Während andere sich von gewifften amerikanischen Mäusezeichnern die Marie aus der Tasche ziehen ließen, sponserte ich Onkel Jagger und Co mit dem Album „Rolling-Stones Greatest Hits“ von K-Tel. ….damals mein ganzer Stolz….
Eine wichtige Rolle in meiner Pubertät spielte auch die Gruppe „Baccara“, der ich zwar musikalisch so gut wie nichts abgewinnen konnte, jedoch den Anblick einer der Beiden, südländisch anmutenden Frauen:
Die sinnlichen Lippen und die künstlich erotisch gestalteten Verrenkungen bei „Yes Sir, I Can Boogie“ ließen erste Frühlingsgefühle in mir aufkommen, die in Weiterem einige heiße Liebesnächte mit ihr in meinen Träumen zu Folge hatten.
Suzie Quatro dagegen gab mir den Anlass, darüber nachzudenken ob nicht auch eine homosexuelle Beziehung für mich Reiz hätte…
Ich kann mich daran erinnern, dass ich 1978 meinen Eltern vorschlug, den Schul-Skikurs gegen Status Quo, Deep Purple und Eric Clapton-LPs einzutauschen. Als sie natürlich aus Kostengründen bereitwillig zustimmten, kam wohl das erste Mal mein Geschäftssinn zum Vorschein.
„..Aber der Soundtrack „Saturday Night Fever“ musste schon noch drinn´ sein….“
Dann 1980 der Ernst des Lebens.
Mein gesamtes Schaffen, 6Tage in der Woche diente gelegentlich nur dazu, nach Auszahlung der Lehrlingsentschädigung, damals klägliche 600,- Schilling, ins Plattengeschäft zu eilen und die Hälfe davon Fr. Beisiegel für 7Singles zu überreichen.
Aber die eindrucksvollste Entdeckung in Sachen Musik machte ich ebenfalls zu dieser Zeit, in einer Discothek namens „PSI“, heute auch völlig altmodisch Volksgarten genannt. Bei Edwin Starr, James Brown und George Benson ging die Post ab, ebenso bei Fr. Beisiegel.
Bei einer nächtlichen Exkursion in der Parkanlage hinterm „PSI“, in weiblicher Begleitung auf der Suche nach geeigneter Paarungsstätte, stieß ich auf den Theseustempel. In Insiderkreisen kurz „Tempel“ genannt, wo sich für mich ein ziemlich schrecklicher Anblick bot: „Woodstock“.
Ein Haufen vergammelter übrig gebliebener Hippies, die offensichtlich unter dem Vorwand, die Welt verbessern zu wollen, ihre Arbeitslosigkeit und ihren Drogenkonsum rechtfertigen wollten.
…wie Recht Großvater doch hatte…
Mich ekelte noch lange vor Räucherstäbchen, Janis Joplin und Simon&Garfunkel.
Inspiriert von allen Funk, Dancefloor und House-Geschichten durfte ich mich einige Jahre später als DJ in einer kleinen Disco in Strasshof austoben. Neben dem, was ich damals von amerikanischen Star-DJs in PSI gelernt hatte, musste ich dann auch leider 7minütige Madonna-Remixes spielen.
Wäre damals überhaupt nicht schlimm gewesen, hätte diese Frau nur auf jenen Posters existiert, die mich durch so manche schlaflose und einsame Nächte begleiteten. Den Ausgleich zu der nicht wirklich befriedigenden Tätigkeit gaben mir Gary Moore, mein absoluter Lieblingsgitarrist Edward Van Halen und Whitesnake.
Apropos Whitesnake: Mitte der 80-er gab ich für ein exakt 13.05minütiges Video von David Coverdale die Hälfte, nämlich 950,- Schilling meines sehr mühselig erworbenen Wochenlohns aus.
(War anscheinend schon immer ein bisschen gescheiter als alle Anderen)
Diesmal allerdings nicht mehr bei der Fr. Beisiegel. Sie genoss mittlerweile schon ihren wohlverdienten Ruhestand dank meiner und deren anderer Spinnern Kohle.
Bis Anfang der 90er wuchs meine Dylan, Springsteen, Bowie sowie natürlich auch Wilson Pickett, Jo-Tex,..-Sammlung drastisch, finanziert durch unzählige DJ-Einsätze in mehr oder weniger angenehmen Etablissements.
Irgendwann landete ich auf Intervention von Freunden.
Anfangs sehr skeptisch im sonntäglichen „Speak-Easy“ Clubbing im Wiener U4.
Dort versöhnte ich mich allmählich mit der mir so verhassten Gruppe von Leuten und es tat sich somit auch wieder ein neuer musikalischer Horizont auf.
Dies ging soweit, dass ich für einige Jahre jeden Dienstag in der Wiener „Steinzeit“ unter dem Motto: „Flower Days“ Musik von Hendrix, Doors und Co spielte und mich am Wochenende bei üblichen wilden Partys von Metallica bis Beach Boys und von „blond bis braun“ verwirklichen konnte.
Mitte der 90er wurde im kleinsten Rahmen der Grundstein meiner jetzigen Tätigkeit als Schallplatten Händler gelegt.
Zuerst relativ erfolglos, da ich, wie könnte es auch anders sein, mit Abstand mein bester Kunde war.
Jahre des Lernens an der Materie vergingen.
Zugleich schwand auch allmählich die Hoffnung bei einem der schon zahlreich ausgeübten bürgerlichen Berufen Zufriedenheit zu erlangen.
Meine Reisen zu Börsen und Märkten wurden immer ausgedehnter, anfangs nur in Wien und Umgebung, heute fast im gesamten EU-Raum. Und die Sehnsucht nach einem eigenen Shop wurde immer größer.
Im Jahr 2002 lernte ich dann Moses kennen.
Ein junger, sehr ungestümer, gefräßiger andererseits aber auch absolut liebenswerter Typ.
Es war Sympathie auf den ersten Blick. Einige Zeit später schmiedeten wir die Idee, gemeinsam einen Shop zu eröffnen. Die Aufgabenverteilung war auch sofort klar: Er, der Boss, darum auch „Moses-Records“, ich, der gewerberechtliche Geschäftsführer. So die Eröffnung am 22.01.2004.
Vielleicht noch ein Wort zu heimischer Musik ohne näher ins Detail gehen zu wollen.
Da ich in dieser Hinsicht über ein umfangreiches historisch wertvolles Tonträgerarchiv verfüge, kann sich wohl jeder denken wie wertvoll sie immer für mich war. Die Szene lebt, es wird überall Musik gemacht. So sehe ich es als Aufgabe in meiner jetzigen Position, diese meinen Kunden näher zu bringen. Genau wie damals Fr. Beisigel.
Mein Traum allerdings wäre, es würden auch Medien, so wie zu Fr. Beisigels Zeiten so agieren.
Und müsste ich mich letztendlich ohne viel darüber nachzudenken selbst beschreiben, dann sehe ich einen Langhaarigen, der für Frieden und gegen Ungerechtigkeit eintritt.
Einen, der ab und zu ja doch die Welt verbessern möchte, an die Kraft von Liebe und Freundschaft glaubt, jedoch die Blumen aber lässt wo sie wachsen.
Wahrscheinlich trage ich Woodstock nahezu 40 Jahre unbewusst in mir, ohne dabei die Ideale meines Großvaters zu verwerfen.
Euer Peter